Schweizer Freiwillige: grosses Interesse an Diakonie und Kirche

Schweizer Freiwillige: grosses Interesse an Diakonie und Kirche

Eine vielfältige Vereinslandschaft und ein starkes soziales Engagement in der Schweiz leben von der grossen Zahl von freiwilligen Mitarbeitenden. Rund 200‘000 von ihnen sind in Kirche und Diakonie aktiv.
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Schweizer Freiwillige: grosses Interesse an Diakonie und Kirche

Freiwillige ermöglichen der Schweiz eine vielfältige Vereinslandschaft und ein starkes soziales Engagement. Rund 200‘000 von ihnen sind in Kirche und Diakonie aktiv. Die Kirchgemeinden bieten geeignete Plattformen für ein Engagement, wie zum Beispiel der „Freiwilligen-Monitor“ zeigt.

Rund sechs Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung ab 15 Jahren engagiert sich freiwillig in kirchlichen Organisationen, über ein Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Diese Zahl offenbart der Freiwilligen-Monitor, initiiert durch die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG. Die Kirchen liegen damit an zweiter Stelle hinter den Sportvereinen, die rund zehn Prozent der Bevölkerung mobilisieren. Mit je fünf Prozent folgen soziale und kulturelle Vereine. Interessenverbände erhalten von vier Prozent Unterstützung. Am Ende der freiwilligen Beliebtheitsskala stehen politische oder öffentliche Ämter (2%), politische Parteien (1,2%), Menschenrechts- und Umweltverbände (1,1%) und Migrantenvereine (0,3%).

Schweizer Freiwillige haben Interesse an Diakonie und Kirche

Freiwilliges Engagement in kirchlichen Organisationen: Vergleich mit anderen Bereichen. © Freiwilligenmonitor der SGG, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Für Herrn und Frau Schweizer wirkt die Sinnstiftung als zentrales Motiv.

„Die Kirchen sind flächendeckend präsent, im örtlichen Gemeinwesen verwurzelt und verfügen oft über Räume, die für Angebote genutzt werden können. Dies ermöglicht, auf die Bedürfnisse vor Ort zu reagieren“, betont Rahel Burckhardt, Beauftragte für Freiwilligenarbeit der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. So konnten sie zum Beispiel sehr schnell auf die markant steigenden Flüchtlingszahlen vor drei Jahren reagieren: „Ich denke, dass dies dazu beiträgt, dass sich nach wie vor viele Menschen innerhalb und am Rand von Kirchgemeinden engagieren.“ Dies bestätigt Simon Hofstetter, Geschäftsleiter der Diakonie Schweiz: „Darin kommt wohl zum Ausdruck, dass für Herr und Frau Schweizer die Sinnstiftung als zentrales Motiv der freiwilligen Tätigkeit wirkt: Man will etwas Sinnstiftendes tun – und das kann man in vorzüglicher Weise bei den Kirchen machen.“

Freiwillige sind mehrheitlich Frauen

Frauen zwischen 45 und 74 Jahren bilden dabei die stärkste Gruppe – und darin wiederum der Teil ab 60 Jahren aufwärts. Jede zehnte Frau in diesem Alter engagiert sich demnach freiwillig in kirchlichen Organisationen. Diese Zahlen seien für kirchliche Organisationen sowie soziale, karitative Vereine typisch, so Burckhardt. Mit sechs Prozent sind danach die 15-29-jährigen Frauen gleichauf mit der am stärksten vertretenen Gruppe der 45-74-jährigen Männer. Wer sich wenig engagiert, sind die Frauen und Männer zwischen 30 und 44 Jahren.

Keinen grossen Unterschied machen die Zahlen zwischen der Bevölkerung in den Städten (5,7%), den Agglomerationen (5,9%) und dem Land (6,3%). Die Deutschschweiz ist mit 6,6% etwas fleissiger als die Romandie und das Tessin mit 4,5%.

Ein Blick auf das Haushaltseinkommen offenbart, dass Freiwilligenarbeit eher für Mehrverdiener ins Blickfeld rückt. Während sich 4,4% bei einem Einkommen bis 5‘000 Franken beteiligen, sind dies bei höheren Einkommen über 6%. Burckhardt: „Ein fehlendes Grundeinkommen kann als Grund angegeben werden, dass sich Menschen nicht in der formellen Freiwilligenarbeit engagieren.“ Weiter steige die Häufigkeit, jedoch nicht zeitliche Intensität, vom Engagement mit höherem Bildungsgrad. Zumindest in der formellen Freiwilligenarbeit setzten sich eher Personen ein, „die breit vernetzt sind und viele Kompetenzen in eine Organisation einbringen können“, ergänzt Lukas Niederberger, Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.
84% möchten Menschen helfen, nur 12% suchen einen beruflichen Nutzen.

2,7 Stunden engagieren sich die Freiwilligen durchschnittlich pro Woche. Dies entspricht einem geschätzten jährlichen Arbeitsvolumen von hochgerechneten 28 Millionen Stunden.

In puncto Entschädigung erhält praktisch die Hälfte eine Anerkennung zum Beispiel in Form eines Jahresessens, 36% bekommen jedoch gar nichts. Rund 20% werden Weiterbildungsmöglichkeiten finanziert oder sie erhalten eine Spesenentschädigung. Lediglich acht Prozent bekommen eine geringfügige Bezahlung und nur ein Prozent ein Honorar.

Schweizer Freiwillige haben Interesse an Diakonie und Kirche

Freiwilliges Engagement in kirchlichen Organisationen: Entschädigung. © Freiwilligenmonitor der SGG, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Freiwillige wollen helfen und bewegen

Nach der Motivation gefragt, geben 84% der Freiwilligen an, anderen Menschen helfen zu wollen. 75% möchten mit anderen etwas bewegen. 57% wollen ihre Kenntnisse und Erfahrungen erweitern, 49% möchten sich weiterentwickeln. Am Ende der Motivationskette steht mit 12% der Nutzen für die persönliche berufliche Laufbahn. In der Freiwilligenarbeit sei ein Paradigmenwechsel sowohl hinsichtlich der Motivation sowie auch der Form der Beteiligung feststellbar, so Hofstetter. Freiwillige hätten sich lange Zeit aus selbstlosen Motiven für eine lange Zeit in einem ihnen vorgegebenen Wirkungsbereich engagiert. Freiwillige suchten jedoch heute ein anderes Engagement: „Das Engagement muss ihnen einen Nutzen stiften, sie verlangen für ihre Arbeit Anerkennung, sie wollen mitbestimmen und eigene Ideen einbringen können.“ Und sie engagierten sich projektbezogen, also für eine bestimmte Idee und für eine abgegrenzte Zeitdauer: „Das Engagement muss heute auch attraktiv sein – freiwillig Tätige wählen ihr Engagement aus und können, falls es ihnen nicht passt, auch abspringen.“

Wer gibt den entscheidenden Impuls, damit sich Menschen engagieren? Mit 40% erhielten die meisten Freiwilligen einen Anstoss durch leitenden Personen in der Organisation, die sie dann unterstützten. 33% spürten ein eigenes Bedürfnis. Noch vier Prozent gaben an, mehr Zeit zur Verfügung gehabt zu haben. Nur zwei Prozent kamen über einen Kontakt zur Informationsstelle zu ihrem Engagement und gar nur ein Prozent durch Beiträge in Presse, Radio und Fernsehen. Das persönliche Ansprechen hat einen wesentlich höheren Effekt auf die Motivation, sich zu engagieren, als Spots oder Beiträge in den Medien, bestätigt Niederberger. „Freiwilliges Engagement steht in einem engen Bezug zu persönlichen Beziehungen. Viele der nicht freiwillig Tätigen sagen, dass sie noch nie dazu angefragt wurden“, so Rahel Burckhardt. Die Rolle der Medien verorte sie eher auf eine übergeordnete Ebene der Wertevermittlung.
Schweizer Freiwillige haben Interesse an Diakonie und Kirche

Freiwilliges Engagement in kirchlichen Organisationen: Motivation. © Freiwilligenmonitor der SGG, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Kirchliche Freiwillige:
Ein potentieller Wachstumsfaktor von 950%

Auf eine Besonderheit weist Lukas Niederberger abschliessend hin. Der deutsche Freiwilligensurvey hat eruiert, wo Menschen, die nicht freiwillig tätig sind, im Fall einer Freiwilligenarbeit wirken würden. Während rund 3% an einer Tätigkeit im sozialen Bereich interessiert wären, rund 2% am Bereich Umwelt und Tierschutz oder rund 4% am politischen Bereich, interessieren sich rund 8% für Freiwilligenarbeit im Bereich Religion und Kirche. Dies bedeutet einen potenziellen Wachstumsfaktor von 950%. Die Chancen, aber auch die Anforderungen machten klar, „dass eine Kirchgemeinde oder ein diakonisches Werk den Bereich der freiwilligen Mitarbeit nicht einfach nebenher führen kann; vielmehr muss dieser Bereich aktiv und professionell bewirtschaftet werden“, betont der Diakonie-Geschäftsleiter Simon Hofstetter. Den neuen Freiwilligen brauchten entsprechende Angebote, eine gute Ausbildung und Begleitung, sodass sie die geforderte Anerkennung und Wertschätzung erfahren: „Wenn der Unternehmer von Massnahmen zur Kundenbindung spricht, so sollen Kirchgemeinden und diakonische Werke von notwendigen Massnahmen der Freiwilligenbindung sprechen.”

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