Erste Hilfe bei psychischen Problemen: Nichtstun ist immer falsch

Erste Hilfe bei psychischen Problemen: Nichtstun ist immer falsch

Neun von zehn Personen kennen jemanden, der oder dem es psychisch schlecht geht. Wie aber damit umgehen? Der ensa-Kurs bildet zum Ersthelfer für psychische Gesundheit aus. Nichtstun ist immer falsch, wird da betont.

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Erste Hilfe bei psychischen Problemen: Nichtstun ist immer falsch

Neun von zehn Personen kennen jemanden, der oder dem es psychisch schlecht geht. Wie aber damit umgehen? Der ensa-Kurs bildet zum Ersthelfer für psychische Gesundheit aus. Nichtstun ist immer falsch, wird da betont.

Dem Arbeitskollegen geht es nicht gut. Er wirkt niedergeschlagen, fast schon abwesend. Aber stimmt der Eindruck? Nachzufragen fällt schwer. Was, wenn man falsch liegt? Aber was, wenn nicht?

Wenn jemand ohnmächtig wird oder stark blutet, wissen die meisten, was zu tun ist. Einen Erste-Hilfe-Kurs haben schliesslich alle mal gemacht. Aber was ist, wenn nicht der Körper, sondern die Psyche eines Mitmenschen dringend Hilfe braucht?

Jeder zweite Mensch in Europa erlebt einmal im Leben eine psychische Erkrankung. Laut Schätzungen leben aktuell 35 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit einem psychischen Leiden. Und fast alle kennen jemanden, der oder dem es psychisch nicht gut ging – oder geht. Es ist wichtig, psychische Probleme bei Angehörigen, Freunden oder Arbeitskollegen rechtzeitig zu erkennen, auf die Menschen zuzugehen und Hilfe anzubieten, so die Schweizerische Stiftung Pro Mente Sana. Je länger man wartet, desto schlimmer können Probleme werden.

Erst wenn es zum Knall kommt, wird es offenbar

Auch bei schweren psychischen Erkrankungen erlebe man immer wieder, dass das Umfeld doch nicht so recht glauben mag, dass es sich um ein Problem handele oder man sich nicht getraut hätte, zu fragen, so der Psychiater Wolfram Kawohl von den Psychiatrischen Diensten Aargau im Interview mit dem SRF. Wenn es dann zum Knall komme, zum Beispiel durch einen Suizidversuch, dann werde es plötzlich offenbar.

Hier setzt ensa an – ein Erste-Hilfe-Programm für psychische Gesundheit. Ensa ist die Schweizer Version des australischen Programms «Mental Health First Aid», das im Jahr 2000 von Betty Kitchener und ihrem Mann Tony Jorm entwickelt wurde. Ihr Ziel war, die Idee der Ersten Hilfe auf psychische Probleme zu übertragen. Betty Kitchener ist Ausblidnerin und Betroffene, Tony Jorm ist Forscher im Bereich der psychischen Gesundheit.

Das Wort «ensa» stammt aus einer der über 300 Sprachen der australischen Ureinwohner und bedeutet «Antwort». Geschult durch einen Kurs sollen Laien helfen können, wenn bei nahestehenden Personen psychische Schwierigkeiten auftreten, psychische Beeinträchtigungen schlimmer werden oder eine akute psychische Krise ausbricht. Das Programm setzt also schon früher an als die professionelle, medizinische oder psychiatrische Hilfe, nämlich bereits im privaten Umfeld. Der Kurs richte sich an interessierte Laien, so Roger Staub, Geschäftsleiter Pro Mente Sana, gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung. Meistens seien es Angehörige von Betroffenen, aber es gebe auch einige Firmen, die das Programm in ihr betriebliches Gesundheitsmanagement aufnehmen wollten.
Im ensa Erste-Hilfe-Kurs werden von dafür geschulten Instruktorinnen und Instruktoren in vier Modulen von je drei Stunden Grundwissen zu psychischen Störungen vermittelt sowie konkrete Erste-Hilfe-Massnahmen bei Problemen und Krisen erlernt und geübt. Mittlerweile wird das Programm in 22 Ländern angeboten und laufend wissenschaftlich begleitet und untersucht. Das Programm wurde 2019 in der Schweiz von der Stiftung Pro Mente Sana mit Unterstützung der Beisheim Stiftung lanciert.

Eine Meta-Analyse aller bisherigen Studien kam 2018 zum Schluss, dass der Kurs effektiv darin sei, Wissen über psychische Krankheiten zu vermitteln, und dazu befähige, Menschen mit psychischen Problemen zu unterstützen, so die NZZ.

Wie geht es Dir?

Lieber einmal zu viel fragen als einmal zu wenig, so lautet ein Motto der Kurse. Wenn sich eine Arbeitskollegin immer weiter zurückzieht oder sich die Absenzen häufen, wenn ein Sportkamerad plötzlich das geliebte Hobby vernachlässigt. Es gibt Warnsignale, auf die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kurse hingewiesen werden. Genauso wie auf die Notwendigkeit, behutsam vorzugehen und nicht zu drängen. Man solle Gesprächsbereitschaft signalisieren, und dies auch wiederholt, aber wenn jemand nicht reden wolle, müsse man das respektieren, so Kurstrainerin Liliana Paolazzi gegenüber der NZZ.

«Wie geht es Dir?» sei die richtige Frage, um Erste Hilfe anzubieten, so Roger Staub im Interview mit dem Beobachter. Man müsse einfach zweimal fragen. Zuerst als höfliche Floskel und dann als Signal, dass man es wirklich wissen wolle und es auch aushalte, wenn es jemandem nicht gutgehe. Helferinnen und Helfer lernten, die Frage im richtigen Moment noch einmal zu stellen.

Auch im konkreten psychischen Notfall könne die Ersthelferin oder der Ersthelfer noch unterstützen, betont Kursausbilder Tobias Koch im Gespräch mit SRF Puls. Wer fürchte, das Gegenüber wolle sich das Leben nehmen, könne genau diese Frage stellen. Viele Betroffene warteten eben genau darauf, so Koch. Insgesamt gebe es nicht viel, was man als Ersthelferin oder Ersthelfer falsch machen könne. Nichts zu machen, das sei allerdings immer falsch.

Was aber ist, wenn es doch einmal zu einem akuten Notfall kommt? Bei einer Psychose könne man als Laie natürlich nicht direkt helfen, so Roger Staub im Beobachter. Aber man könne der Person beistehen, bis professionelle Hilfe da sei. Dazu müsse der Helfer das Angebot an Hilfeleistungen kennen. Laien müssten keine Diagnose stellen, sondern den Mut haben, in ihrem Umfeld Probleme anzusprechen und Hilfe anzubieten.

Ensa-Kurse auch bei den Reformierten

Neu kooperieren auch die Schweizer Reformierten mit ensa – zum Beispiel aktuell Bern-Jura-Solothurn. Eine Aufgabe der Diakonie sei es, soziale Brennpunkte zu benennen und sich dort zu engagieren, so Helena Durtschi, Fachmitarbeiterin Bildung im Bereich Sozial-Diakonie und gemeinsam mit Alena Ramseyer für die ensa-Kurse verantwortlich.

“Obwohl psychische Krankheiten weit verbreitet sind, wird kaum darüber gesprochen. Und die Corona-Situation verschärft die Situation noch zusätzlich” so Durtschi. Das führe dazu, dass Betroffene aus Angst, nicht verstanden oder gar stigmatisiert zu werden, nicht über ihr Leiden sprechen. Dazu komme, dass viele der Ansicht seien, Betroffene müssten sich einfach mehr zusammennehmen oder noch schlimmer: sie seien selbst schuld für die Krankheit. Hier sei es wichtig, auch Kirchgemeinden mit den Kursen für das Thema der psychischen Gesundheit zu sensibilisieren.

Ein erster Kurs mit 12 Sozialdiakoninnen und Sozialdiakonen sowie Pfarrpersonen läuft derzeit als Webinar. Im März findet ein weiterer Kurs statt. Alle Kurse werden im Weiterbildungsprogramm von Diakonie Schweiz aufgeschaltet und sind für für Amtsträgerinnen und Amtsträger subventioniert. Offen sind die Kurse auch für Freiwillige, Behördenmitglieder, Personen, die sich im Bereich der Caring Communities engagieren und weitere Interessierte. Vorgesehen sei auch, subventionierte Angebote ab nächstem Jahr dezentral für Kirchgemeinden anzubieten, so Durtschi.

Dadurch, dass das Thema in den Ausbildungen kaum aufgenommen werde, wüssten viele nicht, wie sie reagieren könnten, wenn eine Person an einer Depression litte, suizidgefährdet sei oder ein Alkoholproblem habe. Die meisten getrauten sich nicht, dies anzusprechen. Genau solche Alltagssituationen würden in den ensa-Kursen geübt. So werde es möglich, Personen einfühlsam und kompetent auf ihr Leiden anzusprechen und sie mit den entsprechenden Fachstellen zu vernetzen.

 

 

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