Flexibel, aber ausgebrannt?

Flexibel, aber ausgebrannt?

Die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt und der Druck der ständigen Erreichbarkeit sind schlecht für die Gesundheit und das Familienleben. Gleichzeitig sind die Menschen dem technischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen. Ein Blick auf zwei aktuelle Studien.

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Flexibel, aber ausgebrannt?

Die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt und der Druck der ständigen Erreichbarkeit sind schlecht für die Gesundheit und das Familienleben. Gleichzeitig sind die Menschen dem technischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen. Ein Blick auf zwei aktuelle Studien.

“Zunehmende Digitalisierung im Beruf belastet Familienleben” lautet der aufschlussreiche Titel einer Studie des Center for Disability and Integration der Universität St.Gallen. Mehr als 8’000 deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden hierzu befragt.

Die Digitalisierung ist demnach längst betriebliche Realität und in der Erwerbsbevölkerung angekommen. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt dabei an, dass Technologie den Menschen mehr Freiheit gibt, zu leben und zu arbeiten, wo sie wollen.

Jedoch: Erwerbstätige spüren Druck, schneller arbeiten und sich ständig fortbilden zu müssen. Jeder sechste Arbeitnehmer fühlt sich durch die Informationsmenge überfordert, jeder fünfte will sich und seine technologischen Fertigkeiten stetig verbessern, um nicht ersetzt zu werden. Jeder zehnte der 18-29-Jährigen fühlt sich durch Kollegen mit aktuelleren technologischen Kompetenzen bedroht, bei den Älteren Mitarbeitenden liegt dieser Anteil jedoch nur bei 3%.

Die Digitalisierung zeige signifikante Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung, so die Studie. 23% der Beschäftigten fühlen sich durch ihre Arbeit emotional erschöpft, 21% gar ausgebrannt. 39% geben zudem an, die Arbeitsanforderungen beeinträchtigten das Privat- und Familienleben. Fast die Hälfte dieser Menschen macht sich zudem wegen der Digitalisierung Sorgen um seinen Arbeitsplatz.

Der Anspruch ständiger Erreichbarkeit hinterlässt Spuren und kann krank machen.

Beat Urech

Vorsitzender der Geschäftsleitung, Heimgärten Aarau

Witikon; Wikimedia/Roland zh

“Aus meiner Sicht hinterlässt der Anspruch der ständigen Erreichbarkeit und der damit verbundenen Belastung Spuren, vor allem bei leitenden Angestellten”, bestätigt Beat Urech, Vorsitzender der Geschäftsleitung Heimgärten Aarau und Teamleiter kantonale Schulen in den landeskirchlichen Diensten im Kanton Aargau.

Dieser Anspruch könne krank machen. Das Einsparen von Arbeitsplätzen im kirchlich-sozialen Bereich befürchtet Urech hingegen nicht, im Gegenteil fordere die Verwaltung mehr administrativen Aufwand.

Zurück zur Studie: Als konkrete Gesundheitsprobleme nennen 28% der Befragten Rückenschmerzen, darauf folgen Verstimmungen mit 18%, die bei jüngeren Beschäftigten häufiger auftreten. 16% der Befragten geben an, unter Kopfschmerzen oder Migräne zu leiden.

Aber: Die Digitalisierung erhöht den Krankenstand kaum – währen sich 38% der Beschäftigten mit weniger Digitalisierungsdruck im vergangenen Jahr keinen Tag krankgemeldet haben, sind es bei 33% bei denen, die einen höheren Druck verspüren.

Und: 51% der über 60-Jährigen und 65% der 18-29-Jährigen stehen der Digitalisierung optimistisch gegenüber. Und es gibt Auswege aus den Gesundheitsrisiken, so Studienleiter Stephan Böhm, Professor an der Universität St.Gallen:

“Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, Sport, Verzicht auf Diensthandy und Dienstcomputer in der Freizeit und eine gute Beziehung zur Führungskraft gehen einher mit verringerten Arbeits- und Familienkonflikten sowie weniger emotionaler Erschöpfung.”

Die betriebliche Gesundheitsförderung sei dabei ein wichtiges Instrument, so Böhm. Dabei profitieren Mitarbeiter grosser Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden: 41% von ihnen gaben an, dass solche Kurse angeboten würden, in kleinen Unternehmen bis 10 Mitarbeitenden nur 13%. Auch wurden bislang nur 27% der Führungskräfte überhaupt zu einem positiven und gesundheitsförderlichen Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschult. Hier gibt es also Nachholbedarf.

Einen umfassenden Blick auf die Realität der digitalen Transformation wirft eine zweite Studie. Das Beratungsunternehmen Etventure und die GFK Nürnberg befragten Entscheidungsträger aus Deutschland und den USA.

Für die Hälfte der deutschen Unternehmen gehört die Digitalisierung demnach zu den Top-3-Themen, aber nur 35% fühlen sich sehr gut oder gut auf die digitale Transformation vorbereitet (in den USA 85%).

45% der deutschen Unternehmen sagten, der Wandel werde im Unternehmen je zur Hälfte begrüsst beziehungsweise abgelehnt. 37% beobachteten Verunsicherung, 14% gar eine überwiegende Ablehnung.

“In der Schweiz dürfte die Skepsis ähnlich gross sein” vermutet die Sonntagszeitung, die kürzlich zum Thema auch Schweizer Unternehmensvertreter befragte.

20% der deutschen Unternehmen befürchtet, dass im Zuge der Digitalisierung Arbeitsplätze abgebaut werden (USA: 4%, 19% erwarten einen Arbeitsplatzzuwachs (USA: 59%). 42% halten ihre Mitarbeitenden qualifiziert für den digitalen Wandel (USA: 90%). Die digitale Transformation führt bei 37% der deutschen Unternehmen zur Verunsicherung bei den Mitarbeitenden (USA: 6%). Es scheint also, als liefen die Unternehmen der Realität hinterher: Während die Digitalisierung Auswirkungen auf den beruflichen Alltag hat, haben sich die Arbeitgeber bislang nur unzureichend darauf eingestellt. Dass dies einen negativen Einfluss auf die Unternehmenskultur hat, belegen die Studien eindrücklich.

Den Einfluss der Digitalisierung auf den sozialdiakonischen Bereich schätzt Beat Urech jedoch noch als gering ein. Er werde mit anstehenden Generationenwechseln in den Betrieben jedoch zunehmen:

“Jüngere Leute gehen selbstverständlicher mit der Technologie um. Ob sie auch deren Gefahren realistisch einschätzen können, ist eine andere Frage.”

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