Mit Kalorien Leben retten?

Mit Kalorien Leben retten?

Spenden, ohne dafür Geld auszugeben – das Konzept ist nicht neu, setzt aber zumeist den eigenen Verzicht voraus. Wie mit weniger Kalorien der Hunger in der Welt besiegt werden kann, erzählt der Waadtländer Arzt und Pfarrer Marc Subilia.

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Mit Kalorien Leben retten?
Spenden, ohne dafür Geld auszugeben – das Konzept ist nicht neu, setzt aber zumeist den eigenen Verzicht voraus. Wie mit weniger Kalorien der Hunger in der Welt besiegt werden kann, erzählt der Waadtländer Arzt und Pfarrer Marc Subilia.

Auf der einen Seite der Welt besteht ein schier unerschöpfliches, ein überbordendes Nahrungsangebot, das Wortschöpfungen wie die Zwischenmahlzeit hervorgebracht hat. Eine Fülle, die ungesund macht, weil es so viel gibt, dass es vereinfacht gesagt überhaupt möglich ist, nur das zu essen, was dick macht, und die Effekte mit teuren und praktisch ausnahmslos nutzlosen Diäten zu bekämpfen. Auf der anderen Seite der Welt gibt es fast nichts. Keine Auswahl, nicht einmal eine Grundlage, die ein gesundes Überleben ermöglicht. So wenig, dass Hunger und Mangelernährung zu Krankheit und Tod führen.

Viel ist auf beiden Seiten der Extreme versucht worden. Hier ein gesünderes, bewussteres Essen, dort Spenden und Entwicklungshilfe. Das Problem sei jedoch immer, dass diese Ansätze immer bei sich blieben und nicht über den Tellerrand hinweg schauten. Und genau da sieht Subilia die Lösung: darin, Exzess und Mangel miteinander in Verbindung zu bringen und auszugleichen. „Kalorien spenden – Leben retten“ heisst die dazu vor einigen Jahren gegründete Initiative.

„Bekämpfen Sie den Hunger und fühlen Sie sich besser, ohne dafür Geld auszugeben“, so Subilia vor einigen Wochen auf einer Ideenkonferenz in Genf. Die Idee ist, auf eine Mahlzeit pro Woche zu verzichten und den Gegenwert einem Hilfswerk zu geben, das sich „konkret gegen Hungersnot einsetzt“. Zu den von Subilia empfohlenen Hilfswerken gehören Brot für alle, Caritas, Medair und Helvetas.

Ich gehe also zum Beispiel einen Abend pro Woche ohne Nachtessen zu Bett. Das Geld, das ich eigentlich für dieses Essen ausgegeben hätte, spende ich, erklärt Subilia. So gesehen gibt die Spenderin oder der Spender also nicht mehr Geld aus. Und wo Verzicht unbehaglich wirke, löse die Tatsache, etwas zu schenken, immer positive Gefühle aus. Ein Geschenk freut den Beschenkten, aber auch die Schenkerin.

Wer abends ohne Essen zu Bett geht, habe in unseren Breitengraden nicht wirklich Hunger, so der Mediziner, sondern eigentlich nur Lust auf Essen. Und sie oder er könne am nächsten Morgen beobachten, dass der Hunger nicht grösser sei als an anderen Tagen. Unser Hunger sei eben nicht gleich der Hunger, der in anderen Teilen der Welt irgendwann zwangsläufig zum Tode führt. „Das fordert unsere Empathie heraus“, betont Subilia. „Oder anders herum gesagt: Wenn Sie mit einer Mahlzeit pro Woche ein Menschenleben retten könnten, was hielte Sie dann davon ab?“

Zudem hat der sporadische Verzicht für uns günstige Nebenwirkungen. Er unterbricht die Essensroutine, macht aufmerksam und lässt uns das nächste Mal vielleicht zögern, ein unangenehmes Gefühl wegzuessen. Insgesamt also eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Das Konzept der Spende ohne Mehraufwand ist nicht neu. So können in der Schweiz zum Beispiel Kunden der Migros ihre Prämienpunkte spenden, anstatt sie selbst einzulösen. Der Effekt solcher Aktionen ist jedoch oftmals gering, so sammelte die Glückskette zum Beispiel 2013 bei einem Gesamtaufkommen von 52 Millionen Franken gerade einmal 3‘500 Franken durch die Migros-Punkte ein. Das eigentliche Geben hat eben einen stärkeren Effekt auf die Psyche als das uneigentliche Verteilen: Wer spendet, der setzt Geld für einen guten Zweck ein, anstatt es für etwas anderes auszugeben. Das Konzept von Subilia und anderen setzt voraus, dass das Geld zumindest im Kopf schon ausgegeben wurde und nun einfach anders verteilt wird. Das Glücksgefühl der guten Tat ist kleiner. Ein lobenswerter Ansatz sind solche Initiativen trotzdem.

 

 

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