Gemeinwohlatlas: Das Potential der evangelischen Kirche ist nicht ausgeschöpft

Gemeinwohlatlas: Das Potential der evangelischen Kirche ist nicht ausgeschöpft

Die evangelische Kirche befindet sich auf dem Gemeinwohlatlas 2017 mit Platz 23 in der Spitzengruppe der rund 106 bewerteten Unternehmungen und Institutionen. Doch Caritas und der Migros-Genossenschafts-Bund schneiden mit Platz 10 und 11 wesentlich besser ab. Was hat das zu bedeuten?
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Gemeinwohlatlas: Das Potential der evangelischen Kirche ist nicht ausgeschöpft

Die evangelische Kirche befindet sich auf dem Gemeinwohlatlas 2017 mit Platz 23 in der Spitzengruppe der rund 106 bewerteten Unternehmungen und Institutionen. Doch Caritas und der Migros-Genossenschafts-Bund schneiden mit Platz 10 und 11 wesentlich besser ab. Was hat das zu bedeuten?

 

4.87 Punkte bekommt die evangelische Kirche von den befragten 14’502 Schweizerinnen für ihren Beitrag zum Gemeinwohl. An die Spitze der 106 mit maximal 6 Punkten ausgezeichneten Unternehmungen schafften es die Schweizerische Rettungsflugwache (Rega) mit 5.56 Punkten und der Spitex Verband. Die am besten bewertete kirchliche Organisation ist die Caritas mit 5.20 Punkten auf Platz 10. Sie rangiert im Gegensatz zu den evangelischen Kirchen vor Migros und Coop. Die römisch-katholische Kirche landete mit 4.22 Punkten auf Platz 67 der zum dritten Mal von der Universität St. Gallen in Kooperation mit HHL Leipzig Graduate School of Management durchgeführten Studie. Der Beitrag zum Gemeinwohl wurde in vier Aspekte erfasst: Aufgabenerfüllung, Moral, Zusammenhalt und Lebensqualität.

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Ungebrochenes Vertrauen: Die evangelische Kircher erreicht sehr guten Werte bezüglich Moral.

Evangelische Kirche in der Schweiz im Branchenvergleich

Am meisten Punkte bekommt die evangelische Kirche, die 2017 zum ersten Mal in die Studie aufgenommen wurde, punkto Moral. Kernfrage zu diesem Thema war, ob sich die Organisation anständig verhält  und sich zum Beispiel für die Menschenwürde einsetzt. «Offensichtlich vertrauen die Menschen in der Schweiz der evangelischen Kirche», freut sich der Diakonie-Beauftragte des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK, Dr. Simon Hofstetter, über das Ergebnis von 5.13 Punkten. Das gute Abschneiden bezeichnet er als «erfreuliches Zeichen für  die sozialdiakonische Arbeit», die im Dienste der Gesellschaft geleistet werde. «Die Leute scheinen wahrzunehmen, dass die evangelische Kirche sich für die Bedürftigen und damit fürs Gemeinwohl einsetzt», sagt er.

Schlechtes Abschneiden bei der Lebensqualität

Die schlechtesten Noten – wenn auch immer noch auf hohem Niveau – gaben die Befragten der evangelischen Kirche mit 4.72 Punkten für ihren Beitrag zur Lebensqualität in der Schweiz. Zum Vergleich: Die Spitex bekommt dafür 5.70 Punkte, Caritas 5.13 Punkte. Lebensqualität wird in der Studie definiert mit Freude, Spass, Schönheit. «Die Kirche wird allgemein nicht mit Lebenslust verknüpft», begründet Professor Dr. Meynhardt das Resultat. Dr. Simon Hofstetter, Verantwortlicher für Diakonie beim SEK, gibt zu bedenken: «Die evangelische Kirche ist nicht konsumorientiert», sagt er. «Wir vermitteln ein Bild der Ernsthaftigkeit und Solidarität. Das sind unsere Stärken, wie der Gemeinwohlatlas zeigt.»

«Die evangelische Kirche ist landesweit nicht mehr sehr bekannt, doch ihr wird zugetraut, dass sie noch mehr fürs Gemeinwohl tun könnte»

Prof. Dr. Peter Gomez
Präsident Center for Leadership and Values in Society
Universität St. Gallen

Dieser Wert könnte allerdings noch grösser sein, schätzt Professor Dr. Timo Meynhardt, Managing Director des Centers for Leadership and Values in Society der Universität St. Gallen. Er verantwortet die Umfrage gemeinsam mit Professor, Dr. Peter Gomez, dem Präsidenten des Fachrates des Centers. «Die evangelische Kirche ist landesweit nicht mehr sehr bekannt», sagt er. «Doch ihr wird zugetraut, dass sie noch mehr fürs Gemeinwohl tun könnte.» Das Potential der evangelischen Kirche liegt gemäss Studie über dem Durchschnitt  der anderen Organisationen im Bereich Interessensvertretung. Um es auszuschöpfen, könnte beispielsweise die Kommunikation verbessert werden. «Statt von sozialer Sicherheit könnte die Rede sein vom Gemeinwohl. Es geht dabei um mehr als ein Wortspiel. Das Gemeinwohl gehört schliesslich zur Kernaufgabe der evangelischen Kirche», so Professor Dr. Meynhardt. Dr. Simon Hofstetter vom SEK pflichtet ihm bei: «Wir müssen das diakonische Handeln stärker thematisieren», folgert er. «Die Leistungen sind gut, aber nicht sehr bekannt.»

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